Leben im Weltkulturerbe

Der Platz am Fuße des Schlossbergs in Quedlinburg. Das Pfarrhaus Schlossberg 9 ganz links.

1754 sitzt Pfarrer Nikolas Dietrich Giseke an seinem Schreibtisch. Der Umzug aus dem rund 35 Kilometer entfernten Trautenstein liegt gerade hinter ihm. Noch sind nicht alle Kisten ausgepackt und alle Möbelstücke an ihrem Platz, da nimmt er sich schon Zeit, an seinen Freund Gottlieb Wilhelm Rabener1Gottlieb Wilhelm Rabener (1714 – 1771), Steuerrevisor und Autor, bekannt für seine Satiren über die Schwächen und Torheiten der Menschen. zu schreiben:

„Was gleicht an Heiterkeit ietzt allen meinen Tagen?
Nicht einer ist, der unter bangen Klagen
Mir ungefühlt und ohne Lust entflieht;
Mein ganzes Leben ist ein süß harmonisch Lied.
Mein Mund zum Dank gewöhnt, verlernt nun seine Klagen!
Was gleicht an Freude meinen Tagen?
Wie rauschen sie so sanft in Daphnens2Gemeint ist Johanne Cathrina Eleonore Cruse (1726–1804), seine Ehefrau. Arm mit hin!
Wie glücklich bin ich, Freund, wie fühl‘ ich‘s daß ich’s bin!“3Nikolaus Dietrich Giseke, An den Herrn Rabener (1754), in: Des Herrn Nikolas Dietrich Giseke Poetische Werke, herausgegeben von Carl Christian Gärtner, 1767, 369, https://www.digitale-sammlungen.de/de/view/bsb10108810? [27.5.2025].

Er war Im Alter von nur dreißig Jahren zum Hofprediger an die Stiftskirche St. Servatii des „Kaiserlich freien weltlichen Reichsstifts Quedlinburg“ berufen worden. Ein Jahr zuvor hatte er geheiratet und zieht nun mit seiner Daphne in das imposante Hofpredigerhaus direkt am Fuß des Schlossbergs. Er kann sein Glück kaum fassen.

Noch heute wird das um 1680 gebaute Haus als Pfarrhaus genutzt. Der Blick aus den Fenstern auf den Schlossberg mit der Stiftskirche hat sich wenig verändert. Auch die ungewöhnliche Farbgebung der Fassade mit grauen Holzbalken und Ausmauerungen mit ocker-gelben Fond und grauem und weißem Bandelwerk, welches Motive wie Tuchgehänge, Blattwerk und Zapfen zeigt, ist so, wie zu Gisekes Zeiten.

Im Innern wurde das Haus zwar im 19. Jahrhundert „modernisiert“. Aber noch immer steigt man über steile Treppen in die beiden bewohnten Geschosse mit ihren großzügigen Wohnräumen und zwei weitere in den Dachboden empor.

Ende 2025 werde nun ich in jenem Haus sitzen. Der Umzug aus dem knapp 200 Kilometer entfernten Perleberg liegt hinter mir. Vielleicht hole ich mir aus dem uralten Weinkeller des Hauses eine gute Flasche und stoße mit meiner Daphne an, dass wir nun im Weltkulturerbe leben werden, glücklich wie einst Nikolas Dietrich Giseke.


1 Gottlieb Wilhelm Rabener (1714 – 1771), Steuerrevisor und Autor, bekannt für seine Satiren über die Schwächen und Torheiten der Menschen.

2 Gemeint ist Johanne Cathrina Eleonore Cruse (1726–1804), seine Ehefrau.

3 Nikolaus Dietrich Giseke, An den Herrn Rabener (1754), in: Des Herrn Nikolas Dietrich Giseke Poetische Werke, herausgegeben von Carl Christian Gärtner, 1767, 369, https://www.digitale-sammlungen.de/de/view/bsb10108810? [27.5.2025].


noch ein Filmtipp: Unter Dach und Fach – Quedlinburg und sein Welterbe


 

2 thoughts on “Leben im Weltkulturerbe”

  1. Wir wünschen Euch von Herzen eine tolle Zeit im Weltkulturerbe. Werden sicher mal vorbei schauen und hoffen, dass die steilen Treppen Euch fit halten werden. Wir haben gerade in der MDR Reihe „Der Osten“einen wunderschönen Film über Quedlinburg gesehen und es wird sicher toll! Ganz liebe Grüße von Thomas und Martina Weyrauch

    1. Vielen Dank! Ihr seid herzlich willkommen. Platz für Gäste gibt es auch … nur zwei Treppen muss man überwinden. Vielen Dank auch für den Filmtipp! Ich habe ihn noch mit angefügt. „Unser“ Haus kommt gleich mehrfach ins Bild.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

I accept that my given data and my IP address is sent to a server in the USA only for the purpose of spam prevention through the Akismet program.More information on Akismet and GDPR.