Thomas Brasch wäre heute 77 Jahre alt geworden. Geboren wurde er im britischen Westow als erster Sohn eines jüdischen Emigrantenehepaares. Die Eltern, sie aus Wien stammende Jüdin, er jüdischer Katholik, waren Kommunisten. 1945 gingen sie in die sowjetisch besetzte Zone. Der Vater machte Karriere als Kulturfunktionär. Die Mutter musste ihre künstlerischen Träume begraben.
Thomas wurde auf die Kadettenschule der Nationalen Volksarmee in Naumburg (Saale) geschickt, machte Abitur, arbeitete als Schlosser, Meliorationsarbeiter und Schriftsetzer, studierte Journalistik in Leipzig, wurdewegen „Verunglimpfung führender Persönlichkeiten der DDR“ und arbeitete als Kellner und Straßenbauarbeiter. Noch einmal begann er ein Studium, Dramaturgie in Babelsberg. Nach einer Flugblattaktion gegen den Einmarsch der Truppen der Ostblockstaaten 1968 in Prag wurde er verhaftet und wegen „staatsfeindlicher Hetze“ verurteilt. Danach arbeitete er als Fräser. Seit 1972 ist freier Schriftsteller.
Als Wolf Biermann ausgebürgert wurde, ging auch er in den Westen. Dort wehrte er sich gegen das Etikett eines DDR-Dissidenten und fühlte sich auf andere Weise erneut vereinnahmt.
Thomas Brasch (19. Februar 1945 – 3. November 2001)
Was ich habe, will ich nicht verlieren
Gedicht zum 19. Februar 2022
Was ich habe, will ich nicht verlieren, aber
wo ich bin, will ich nicht bleiben, aber
die ich liebe, will ich nicht verlassen, aber
die ich kenne, will ich nicht mehr sehen, aber
wo ich lebe, da will ich nicht sterben, aber
wo ich sterbe, da will ich nicht hin:
Bleiben will ich, wo ich nie gewesen bin.
Text aus: Der Papiertiger. Montage für eine Gruppe von Spieler und Musikern, 1977 | Bild Marion Brasch.