Die Kirche in Karstädt wird abgerissen. Ganz genau ist nicht bekannt, was diesen Beschluss ausgelöst hat. Ist sie zu baufällig? Steht die Größe der Kirche nicht mehr im richtigen Verhältnis zur Zahl der Menschen, die sie nutzen? Ist sie einfach unschön und nicht erhaltenswert? Wie dem auch sei, der Beschluss wird umgesetzt, nur ein einziger Balken als Erinnerung an das verschwundene Gebäude bleibt erhalten … und ein verschlissenes altes Gewand.
Als aber der berühmte Kunsthistoriker Julius Lessing auf dieses Textil aufmerksam wird, macht er sich aus Berlin auf, kommt nach Karstädt und entdeckt eine Sensation. Bei dem alten Stoff handelt es sich um eine wertvolle mittelalterliche Kasel, ein liturgisches Gewand, das einem Bischof angemessen wäre. Wie es in das 300-Seelen-Dorf gekommen ist, bleibt offen.
Die Karstädter können den Fund nicht so recht schätzen. Sie schneiden die Vorderseite ab, falten die Rückseite so zusammen, dass sie in einen Bilderrahmen passt und nageln den verbliebenen Stoff mit – im Laufe der Zeit rostenden – Nägeln auf.
Inzwischen haben sie auch eine neue Kirche gebaut, 1895 wird sie eingeweiht und steht noch heute. Die gerahmte Kasel hängen sie in die Sakristei bis 115 Jahre später der Rahmen von der Wand genommen wird.
Jetzt endlich wendet man sich mit mehr Aufmerksamkeit dem historischen Stück zu. Die Nägel werden entfernt und die Kasel der Unterlage im Rahmen entnommen. Zwei stark verschmutzte und sehr schadhafte Fragmente kommen zum Vorschein. Eine umfangreiche Restaurierung wäre erforderlich. Doch dafür fehlt zunächst die Kraft. So wandert der Stoff ins Pfarrarchiv bis er für die Ausstellung „Karl IV. – Ein Kaiser in Brandenburg“ in Potsdam wieder hervorgeholt wird. Eine erste Restaurierung geschieht und die Kasel bekommt eine angemessene Vitrine. Danach kommt sie erneut in die Werkstatt der Restauratoren.
Inzwischen hat man auch ihren enormen Wert erkannt. Die Karstädter Kasel ist die älteste von insgesamt nur vier in der Prignitz. Würde man sie heute herstellen, hätte sie einen Wert von weit über 100.000 Euro. Aber das Geld kann man ja nun sparen. Was für ein Glück, dass die Karstädter Kirche abgerissen wurde.