Ein Sarg auf der Elbe

Wer über das Wasser schaut, sieht dort einen schweren Eichenholzsarg treiben. Erst nach mehreren Tagen gelingt es, das makabere Treibgut zu bergen. Es ist der Sarg des 1676 gestorbenen Admirals Arnold Gijsels van Lier, der zuvor in einem Anbau der Mödlicher Kirche stand.

Das verheerende Hochwasser vom März 1888 hat nicht nur Mödlich sondern die ganze Lenzer Wische1 überschwemmt. Soweit des Auge blickt, zu sehen ist nichts als eine graue, schlackige, sturmgepeitschte Wassermasse, aus welcher nur vereinzelt noch etliche Bäume und Dachfirste hervorragen. Zweihundert Gebäude stehen unter Wasser, darunter auch die Kirchen in Mödlich und Kietz.

Die Flut kam nicht ohne Vorwarnung: Zwei Männern war kurz zuvor der Geist Gijsels van Liers erschienen, der sie mahnte, die Deiche besser instand zu halten. Aber da war es schon zu spät. Die Mahnung des Admirals konnte nicht mehr helfen.

Dabei hatte Gijsels van Lier einst nach dem 30-jährigen Krieg selbst dafür gesorgt, dass Lenzen und die Lenzer Wische durch Deiche geschützt wurden.

Der Admiral wurde 1593 in den Niederlanden geboren. Schon mit 16 Jahren trat er in den Dienst der Ostindischen Kompanie. Später war  er Befehlshaber auf der indonesischen Inselgruppe der Mollukken und 1641 befehligte er eine holländische Flotte, die erfolgreich gegen die Spanier stritt. Dafür wurde er geadelt. Aber eine weitere Karriere in den Niederlanden blieb ihm verwehrt.

Stattdessen wurde er Berater des Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg. Er sollte für den Brandenburger eine Reichsflotte aufbauen. Aber dieser Plan wurde nicht umgesetzt und so wurde er 1651 Geheimer Rat in Lenzen mit dem Auftrag, das Land nach dem 30-jährigen Krieg wieder aufzubauen. 

Mit seiner Tochter Clara von Merretich zog er auf die Burg Lenzen. Bald entwickelte er einen 16-Punkte-Plan, der Ziele zur Wirtschaftsförderung, Stadtentwicklung, Gesundheitsvorsorge und Bildung enthielt … und vor allem zum Hochwasserschutz durch den Bau von Deichen. Beliebt machte er sich mit seinen Plänen bei den Zeitgenossen nicht. Schließlich sollten sie seine Ideen umsetzen und teilweise auch noch finanzieren. Erst spätere Generationen würdigten sein Tun, denn es trug entscheidend zum wirtschaftlichen Aufschwung und zur Sicherung der Lenzer Wische vor Hochwasser bei.

Gijsels van Lier ließ sich an der Kirche in Mödlich zu Lebzeiten ein Leichenhäusgen errichten, in dem er und später auch seine Tochter in zwei Eichenholzsärgen bestattet wurden. Das Hochwasser von 1888 überschwemmte auch diesen Anbau der Kirche.

Dass der Sarg auf der Elbe noch einmal eine letzte Seefahrt für den Admiral war, ist leider nur eine schöne Legende, ebenso wie die Erscheinung des Amtmanns, die die beiden Männer hatten. Sie waren nur betrunken.

Richtig aber ist, dass Arnold Gijsels van Lier zwei Mal bestattet wurden: Einmal nach seinem Tod am 8. Dezember 1676 in dem Sarkophag und dann noch einmal am 12. Dezember 1912 – 236 Jahre nach seinem Tod – in der Erde bei der Mödlicher Kirche. Die Eichenholzsärge wurden aber nicht mit vergraben. Sie sind noch heute im Turm der Mödlicher Kirche zu sehen.


1 Die Lenzer Wische (Wiese) ist das Gebiet zwischen den Flüssen Elbe und Löcknitz, und den Orten Wustrow und der früheren Mündung der Löcknitz in die Elbe bei Dömitz.


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