„Freiheit versus Unfreiheit. Demokratie versus Diktatur. Um nichts Geringeres geht es auch in diesem Buch.“ [13]
Im Krieg in der Ukraine geht es um Freiheit oder Demokratie, ebenso wie es in der Deutungsschlacht in Deutschland um Freiheit und Demokratie geht. Die multiplen Krisen seit 2008 haben dazu geführt, dass viele Menschen der bundesdeutschen Demokratie, die die Freiheit durch die verfassungsmäßig garantierten Grundrechte garantiert, den Rücken kehren, im Osten bis zu zwei Drittel. Warum ist das so?
„Freiheit lässt sich nur in der Freiheit verraten. … Freiheit ist nicht zu verwechseln mit sozialer Gerechtigkeit oder gar Gleichheit.“ [31] Freiheit ist die durch den Staat garantierte Möglichkeit, zu wählen, wie das eigene Leben und die Gesellschaft gestaltet wird. Die Freiheit hat dort ihre Grenze, wo sie die Freiheit anderer verletzt, Toleranz kann nicht den Intoleranten gelten.
Die friedliche Revolution und die deutsche Einheit führten in die Freiheit. Die meisten Ostdeutschen konnten für den Mauerfall nichts, begrüßten ihn aber ebenso wie die Einheit, ohne ansatzweise die Folgen dieser Entscheidung zu kennen.
Die Ostdeutschen hatten keine kollektive Erfahrung mit Demokratie und Freiheit. Sie wussten nicht, wie beschwerlich die Freiheit ist und wie Demokratie funktioniert.
„Als sich die Bundesrepublik und die DDR 1990 vereinten, war viel vom neuen Deutschland die Rede. Im Westen jedoch dachte kaum jemand daran, die Bundesrepublik, wie sie bis dahin existierte, zu verabschieden. … Der Subtext des ‚Einigungsprozesses‘ lautete: Ihr Ostler müsst schnellstens so werden, wie wir Westler glauben zu sein.“ [101]
Für Mehrheit der Ostdeutschen ging es 1989/90 nicht um Freiheit, sondern um privates Wohlergehen: „Kommt die D-Mark, bleiben wir. Kommt sie nicht, geh’n wir zu ihr.“ [109] An einer Aufklärung über die Diktatur und die eigene Anpassung waren nur wenige interessiert. Das führt heute, auch in der nachwachsenden Generation, dazu, dass „eine große ostdeutsche Mehrheit … weder die Vergangenheit verkraftet noch die Herausforderungen der repräsentativen Demokratie und die Kraft der Freiheit verstanden hat.“ [117] Die Erwartung an den Staat, er soll alles richten, ist nicht überwunden, sondern wird von der Mehrheit der Ostdeutschen beibehalten und von AfD, Linkspartei und BSW aufgenommen.
Zudem wird immer mehr – nicht nur am politischen Rand – ein Bild der Gesellschaft gezeichnet, in dem der Staat kurz vor dem totalen Versagen steht. Dabei geht es den Menschen und dem Land so gut wie noch nie. Die Gesellschaft muss wieder lernen, Konflikte in guter Weise auszutragen und zu lösen. „Wir brauchen keine Konsensgesellschaft, sondern eine Kompromissgesellschaft – das ist das Wesen von Demokratie und Freiheit.“ [143] Das schließt auch ein, dass ich mit meiner Meinung in der Minderheit sein kann und nicht alle meine Anliegen umgesetzt werden.
Mein Resumee ist: „Es geht ein Gespenst um in Europa und das Gespenst heißt Freiheit … Wir werden nicht als freie Bürger geboren. Mit viel Glück wird man frei. Und mit noch mehr Glück kann man in einem freiheitlichen System leben. Die staatliche Ordnung der Bundesrepublik Deutschland ist ein solches System und zählt zu den freiesten überhaupt.“ [210.213]
Zugleich habe ich die Gewissheit verloren, nie wieder in Unfreiheit leben zu müssen, auch weil der Vernichtungsfeldzug Russlands gegen die Ukraine nicht eine Freiheitsfront hervorgebracht hat sondern den Riss in der Gesellschaft offener gelegt hat.
selbst lesen: Ilko-Sascha Kowalczuk, Freiheitsschock. Eine andere Geschichte Ostdeutschlands von 1989 bis heute, 2024.
aktuell mit Ilko-Sascha Kowalczuk verbunden sein: https://www.facebook.com/ilkosascha.kowalczuk