Carl Knauf (1893 – 1944), Nidden Impressionen am Haff (ca 1932)
„Die Kurische Nehrung ist so merkwürdig, daß man sie eigentlich ebensogut als Spanien und Italien gesehen haben muß, wenn einem nicht ein wunderbares Bild in der Seele fehlen soll. Ein schmaler Strich toten Sandes, an dem das Meer unaufhörlich auf einer Seite anwütet, und den an der andern eine ruhige große Wasserfläche, das Haff, bespült. Die ödesten Sandhügel, die schrecklichsten traurigsten Kiefern, die ganze Stunden lang, so weit man sehen kann, bloß aus dem Sande, ohne einen einzigen Grashalm emporwachsen, und nur oben durch die Luft zu leben scheinen, eine Stille und Leere selbst von Vögeln auf dem Lande, die dem Brausen des Meeres nichts zu übertäuben gibt, nur einzelne große Möven, die am Ufer hinschweben. Dann auf einmal, aber freilich selten, eine ordentliche Oase (…), hübsche Wiesen, gute Weide, schöne Bäume, ein freundliches Dorf.“1Wilhelm von Humboldt an Caroline von Humboldt, 10.10.1809, in: Anna von Sydow (Ed), Wilhelm und Caroline von Humboldt in ihren Briefen 3, Weltbürgertum und preußischer Staatsdienst. Briefe aus Rom und Berlin-Königsberg, 1808-1810, 1909, 254.255 [https://m-tag.de/wvh03_278.htm. https://m-tag.de/wvh03_279.htm [6.2.2025] So schrieb Wilhelm von Humboldt an seine Frau.
Die Kurische Nehrung ist noch heute „ein wunderbares Bild in der Seele“, das es sich lohnt einzuprägen, eine wunderschöne, von Wind und Wasser geformte Landzunge, die sich zwischen der Ostsee und dem Kurischen Haff erstreckt. Mit ihren riesigen Sanddünen, dichten Kiefernwäldern und malerischen Fischerdörfern zählt sie zu den eindrucksvollsten Landschaften Europas. Besonders die Wanderdünen, die wie eine kleine Wüste erscheinen, verleihen der Nehrung eine besondere Atmosphäre.
Ein ganz besonderer Ort auf der Nehrung ist das ursprüngliche Fischerdorf Nidden (litauisch: Nida). Hier reicht der Blick über das Haff hin zum Memeldelta, hier ist die Strand der Ostsee naturbelassen und selbst bei sommerlichen Temperaturen ist ein einsamer Platz in den Dünen zu finden. Die Wälder ringsum verlocken zu einer ausgedehnten Wanderung, ebenso wie die große Düne mit ihrem „Tal des Todes“.
Schon Ende des 19. Jahrhunderts hatten Künstler die idealen Voraussetzungen für einen von Hektik und Fortschritt losgelösten Aufenthalt entdeckt. Viele von ihnen kehrten in dem seit 1867 bestehenden Gasthof bei Hermann Blode ein. Sein Haus wurde zur Keimzelle der entstehenden Künstlerkolonie. Er baute sein Hotel in ein Atelier um, in dem die Künstler arbeiten konnten. Bei ihm diskutierten sie miteinander. An den Wänden hingen ihre Bilder. Bei Herrmann Blode wohnte 1890 auch Lovis Corinth, der 1893 den Friedhof von Nidden malte.
So entwickelte sich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine Künstlerkolonie, die Maler, Schriftsteller und Dichter anzog. In unterschiedlicher Form hielten unzählige Maler die Motive fest, die sie auf der Nehrung fanden: die Ostseeküste und das Haff, die Kurenkähne mit ihren typischen Wimpeln, die Fischerhäuser und ihre Bewohner, die Dünen und den Friedhof mit den besonderen Holzkreuzen.
Auch Thomas Mann kam 1929 nach Nidden. Er war von der Landschaft so begeistert, dass er dort sein Sommerhaus errichten ließ. Hier entstanden großen Teile seiner Roman-Tetralogie „Joseph und seine Brüder“.
Die Zeit des Nationalsozialismus und der 2. Weltkrieg änderten viel. Thomas Mann war 1932 vor seiner Flucht aus Deutschland das letzte Mal auf der Nehrung. Maler der Künstlerkolonie wie Lovis Corinth, Ernst Mollenhauer, Max Pechstein oder Karl Schmidt-Rottluff galten als „entartet“. Kurz vor dem Überfall auf Polen war faktisch das Ende der Künstlerkolonie gekommen.
Dennoch versuchte Ernst Mollenhauer, der Schwiegersohn Hermann Blodes, den Geist der Künstlerkolonie bis 1945 zu erhalten. Soldaten der Roten Armee zerstörten 1945 alle Bilder, die meisten wurden in einer Sauna verheizt. Die weitgehend entvölkerte Nehrung wurde Teil der Sowjetunion und war lange Jahre Sperrgebiet.
Was blieb, sind die Bilder, die an anderem Ort waren und so gerettet wurden; manche wurden auch erst aus der Erinnerung oder nach Fotografien gemalt. Was nach der Unabhängigkeit Litauens wieder zugänglich ist, ist der Ort und der nördliche, litauische Teil der Nehrung, die wieder „ein wunderbares Bild in der Seele“ malen für jeden, dort dorthin kommt.
Lovis Corinth (1858 – 1925), Kirchhof in Nidden (1893)
1 Wilhelm von Humboldt an Caroline von Humboldt, 10.10.1809, in: Anna von Sydow (Ed), Wilhelm und Caroline von Humboldt in ihren Briefen 3, Weltbürgertum und preußischer Staatsdienst. Briefe aus Rom und Berlin-Königsberg, 1808-1810, 1909, 254.255 [https://m-tag.de/wvh03_278.htm. https://m-tag.de/wvh03_279.htm [6.2.2025].
Ja, eine großartige Landschaft unsere 9 jährige Tochter prägte für die großen Dünen das Wort „Düste“, weil sie sie an Bilder einer Wüste erinnerten..