Jetzt sehen wir nur ein rätselhaftes Spiegelbild


Abschied vom Pfarramt

Es ist das erste Mal, dass ich eine Predigt ins Internet stelle und zugleich die letzte Predigt im beruflichen Dienst. Am 15. August 2021 wurde ich mit vielen guten Worten, der Musik der Blüthener Jagdhornbläser, den Violinenklängen von Firas Alfares und Axel Gliesche und einem schönen Fest verabschiedet. Nun findet sich in meinem Blog also, was ein Pfarrer im Ruhestand so tut.


Der Text

Paulus schreibt an die Gemeinde in Korinth über das, was für den Menschen wichtig ist, über das, was vergehen wird und das, was bleibt und kommen wird:1

„Stellt euch vor:
Ich kann die Sprachen der Menschen sprechen
und sogar die Sprachen der Engel.

Wenn ich keine Liebe habe,
bin ich wie ein dröhnender Gong
oder ein schepperndes Becken.

Prophetische Eingebungen werden aufhören.
Das Reden in unbekannten Sprachen wird verstummen.
Die Erkenntnis wird an ihr Ende kommen.

Denn was wir erkennen, sind nur Bruchstücke,
und was wir als Propheten sagen, sind nur Bruchstücke.

Wenn aber das Vollkommene kommt,
vergehen die Bruchstücke.

Als ich ein Kind war, redete ich wie ein Kind.
Ich urteilte wie ein Kind und dachte wie ein Kind.

Als ich ein Mann geworden war,
legte ich alles Kindliche ab.

Denn jetzt sehen wir nur ein rätselhaftes Spiegelbild.
Aber dann sehen wir von Angesicht zu Angesicht.
Jetzt erkenne ich nur Bruchstücke.
Aber dann werde ich vollständig erkennen,
so wie Gott mich schon jetzt vollständig kennt.“


Eine Predigt

Als ich ein Kind war, redete ich wie ein Kind.
Ich urteilte wie ein Kind und dachte wie ein Kind.“

Seit ich Kind war, wusste ich genau, was ich werden wollte. Als dann die Zeit kam, in der ich eine Ausbildung machen sollte, da konnte ich wirklich meinen Traumberuf ergreifen. Ich wurde Elektronikfacharbeiter. 

Ich wollte das Leben mit der modernen Elektronik so leicht und unbeschwert zu machen, wie ich das in utopischen Romanen gelesen hatte.

Aber nicht nur der uneinholbare Rückstand der DDR-Elektronik sondern vor alles etwas anderes ließen mich sehr bald meinen Traum aufgeben.

Ich bemerkte: Das, was das Leben trägt, die Hoffnung, die Freiheit, die Liebe, das kann kein elektronischer Schaltkreis erzeugen. Da hat jede Technik einen uneinholbaren Rückstand gegenüber dem Miteinander der Menschen und dem Glauben an einen Gott, der mein Leben in seiner Hand hat.

„Als ich ein Mann geworden war,
legte ich alles Kindliche ab.“

Irgendwie – so scheint mir – muss es dem Apostel Paulus ähnlich gegangen sein. Vielleicht war es auch sein Traumberuf Pharisäer zu werden. Aber dann merkte auch er, das ist nicht das, was mein Leben trägt.

Nach der Elektronik versuchte ich es mit der Theologie. Und nach dem Job als Pharisäer versuchte es Paulus als christlicher Missionar. 

Und so wie ich im Studium und in all den Jahren danach als Pfarrer ganz viel gelernt habe, so haben sich auch für Paulus durch seine Bekehrung zum Christen ganz viele neue und schöne Erkenntnisse aufgetan.

Und dann hat Paulus gepredigt und Briefe geschrieben und die Menschen besucht, um von seinen Erkenntnissen, von seinem Glauben so viel wie möglich weiterzusagen. 

Und auch ich habe als Pfarrer rund zweitausend Mal gepredigt und eMails geschrieben und die Menschen besucht, um das, was mir im Leben, im Glauben, im Miteinander von Gott und Mensch wichtig ist, weiterzusagen.

Aber immer wieder merkte ich, wie begrenzt, wie vorläufig, wie unvollkommen all mein Tun, mein Wissen, mein Glauben und Hoffen ist. 

„Jetzt sehen wir nur ein rätselhaftes Spiegelbild.
Jetzt erkenne ich nur Bruchstücke.“

So hat es Paulus ausgedrückt. 

Manchmal ist es gut, wenn man nicht alles weiß. Manchmal ist es ärgerlich, wenn man etwas vergessen hat. Manche Fragen sind schnell zu beantworten. Andere bleiben immer ein Rätsel oder sind nur vorläufig und bruchstückhaft zu beantworten oder die Erkenntnisse ändern sich immer wieder. 

Pfarrer Karl Groß, der hier in Blüthen viele Jahrzehnte wirkte, soll einmal gesagt haben, er müssen noch hundert Jahre leben, wenn er alle seine offenen Fragen noch beantworten wolle. Ich wette, hätte er wirklich so lange gelebt, wäre die Zahl seiner Fragen nicht geringer geworden.

Der Mensch sieht eben immer nur ein rätselhaftes Spiegelbild. Das gilt sogar für einen Pfarrer, der manches Mal zu hören bekommt: „Nun sagen Sie doch mal, wie es richtig ist, Herr Pfarrer.“

Aber ich kann es nicht sagen. Auch Paulus konnte es nicht sagen. Er schaut in den Spiegel und sieht: Unsere Identität und unsere Selbsterkenntnis, unser Glauben, unser Hoffen, unser Lieben bleiben rätselhaft. ja, Gott selbst bleibt rätselhaft. Eine letzte, richtige Antwort gibt es nicht.

Hape Kerkeling hat das einmal in einem schönen Bild beschrieben: Gott ist wie ein toller Kinofilm. Und die Kirche ist die Projektionsfläche, aber leider nur ein popliges Dorfkino. Zerknitterte Leinwand, schlechter Ton, die Bänke sind hart und die Leute schauen gar nicht richtig hin. Auch wenn die Vorstellung schlecht ist, der Film bleibt ein toller Film. Und irgendwann sehen wir ihn auch in bester Qualität.2

„Aber dann sehen wir von Angesicht zu Angesicht.
Aber dann werde ich vollständig erkennen,
so wie Gott mich schon jetzt vollständig kennt.“

Paulus hat seine Erkenntnis in das bekannte Kapitel von der Liebe eingefügt. Alle Mühen in der Gemeinde, im Leben, im Glauben sind sinnlos, wenn die Liebe fehlt. Aber auch die Mühe um die Liebe und die Erkenntnis wird immer nur bruchstückhaft bleiben … bis ihm aufgeht:

Nicht ich muss Glauben, Hoffnung und Liebe machen. Sondern sie werden mir geschenkt, auch wenn ich nicht verstehe, wie das geschieht. Aber ich hoffe darauf, dass ich einmal in dem tollen Kino sitze und dann auch alles vollständig erkenne.

Am Ende meines aktiven Pfarrdienstes ist mein Tun und mein Erkennen zwar nur bruchstückhaft, aber die Hoffnung hat mich die ganze Zeit begleitet und wird dies sicher auch in Zukunft tun.  So wie Hape Kerkeling es nach seiner langen Pilgerreise beschreibt:

„Der Schöpfer wirft uns in die Luft, ums uns am Ende überraschenderweise wieder aufzufangen. Es ist wie in dem ausgelassenen Spiel, das Eltern mit ihren Kindern spielen. Und die Botschaft lautet: Hab Vertrauen in den, der dich wirft, denn er liebt dich und wird vollkommen unerwartet auch der Fänger sein.“3


1 aus 1. Korinther 13.

2 Hape Kerkeling, Ich bin dann mal weg. Meine Reise auf dem Jakobsweg, [29] 2006, 186.187.

3 Kerkeling, 345.


1 thought on “Jetzt sehen wir nur ein rätselhaftes Spiegelbild”

  1. Danke für die Veröffentlichung Deiner letzten Predigt im beruflichen Dienst.
    Es freut mich sehr die Predigt lesen zu können, insbesondere weil es mir nicht möglich war an Deiner Verabschiedung aus dem Pfarramt persönlich teilnehmen zu können.
    Dein Bezug auf die Worte des Paulus im 1. Brief an die Korinther haben bei mir (wieder einmal) eine ganz besondere Erkenntnis für mein Leben bewirkt.
    „Manchmal ist es gut, wenn man nicht alles weiß. Manchmal ist es ärgerlich, wenn man etwas vergessen hat. Manche Fragen sind schnell zu beantworten. Andere bleiben immer ein Rätsel oder sind nur vorläufig und bruchstückhaft zu beantworten oder die Erkenntnisse ändern sich immer wieder.“ Das spricht mich persönlich sehr an und gibt mir für manche Episoden aus meiner Vergangenheit eine neue und vielleicht auch versöhnlichere Sicht.
    Vielleicht hilft es mir Glauben, Hoffnung und Liebe als Geschenk Gottes auch annehmen zu können.
    Dir, lieber Peter, eine wunderschöne Zeit im Ruhestand! Bleibe gesund und laß alle weiterhin teilhaben an Deiner Freude historisches, literarisches und sonstwie unterhaltsames zu vermitteln.
    Liebe Grüße
    Rüdiger Rodewald

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