Old Shatterhand war hier

1873 wurde die Bahnstrecke von Wittenberge über Cumlosen, Lanz und Lenzen nach Dömitz in Betrieb genommen, ein Jahr später die Elbquerung bei Dömitz und der Abschnitt bis nach Göhrde.

Knapp 15 Jahre später – Anfang Mai 1898 – nutzte Old Shatterhand das Dampfross, um von Dannenberg bis nach Lanz zu reiten. Allerdings traf er hier weder auf Büffel noch auf Mustangs, auch mit einem Bären konnte er nicht kämpfen. Nur den Wigwam von „Vater Jahn“1 hat er besehen. So sitzt er frustriert im Gasthof und dichtet:

„Hier, wo der Vater Jahn geboren
Sitz im Hotel ich weltverloren
Und denke, welch ein Glück er wär
Wenn mich jetzt fräß ein wilder Bär.“2

Am gleichen Tag reitet er zurück bis Lenzen. In den Städtchen mit seinen rund 2.800 Einwohnern ging es etwas lebhafter zu. Gaststätten, Geschäfte und fünf Hotels hatte der Ort zu bieten. Old Shatterhand gab das Abenteuer vorübergehend auf und kehrte als Karl May im „Hotel Deutsches Haus“ ein.

Damit wandelte er auch auf seinen eigenen literarischen Pfaden. In seiner Erzählung „Die drei Feldmarschalls“ (1878) spielen mehrere Szenen im Gasthof „Blauer Stern“, der in Wirklichkeit „Goldener Stern“ hieß. Zu Zeiten von Friedrich Wilhelm I. (1713 – 1740 König von Preußen) waren hier die Werber des Königs auf der Suche nach den „Langen Kerls“ unterwegs. Kehrten junge Männer aus dem nahen Königreich Hannover hier ein, drohte ihnen, dass sie sich nach etlichen Bieren freiwillig für die Preußentruppe verpflichtet hatten.

Wer aber nach Hannover zurückkehrte, der tat dies auf der Route, die auch Karl May wählte. Sie führte den kurzen Weg hin zur Elbe. Kurz vor der Fähre stand das Gasthaus „Elbschlösschen“. Der Dichter könnte hier noch ein Stück Kartoffelkuchen verspeist haben, das Gebäck regt ihn jedenfalls erneut zum Reimen an:

„Hast Du mich lieb, mußt Du versuchen
Noch einmal den Kartoffelkuchen.“3

Dann geht es mit der Fähre über die Elbe. Old Shatterhand kehrt nach seinen großen Taten in der Prignitz ins Hannoversche Land zurück. Sein Ziel ist Gartow. Aber der Trapper hat keine Eile. In der „Thalmühle“ auf der anderen Elbseite kehrt er ein … und dichtet schon wieder.

„Ich sitze nun zum erschten Male
In dieser Mühle im Thale;
Die Elbe liegt rechter Hand;
Weiber haben keinen Verstand.“4

Viel Verstand scheint der Autor hier auch nicht zu verwenden, wenn er nicht bemerkt, dass die Restauration keineswegs in einen „Thale“ sondern auf einem Berg, einer bis zu 76 Meter hohen Geestinsel oberhalb der Elbe, liegt. Hatte der Reisende zu viel Feuerwasser getrunken? Da ist es gut, dass sich ein Taxi findet.

Eine Postkutsche bringt ihn nach Gartow. Im Hotel „Krug“ findet er Quartier und endlich Menschen, die erkennen, welch weltläufiger Mann bei ihnen eingekehrt ist.

Als am Stammtisch im Hotel ein Jäger von seinem Jagderlebnis um einen Rehbock erzählt, mischt Old Shatterhand sich ein: „Verzeihung, ich habe zwar in meinem Leben nie einen Rehbock geschossen, aber desto mehr Grizzlybären und Löwen.“5 Bis in die Nacht hinein gibt er seine Geschichten zum besten. Die Stammtischbrüder bewundern ihn. Der Rehbock, der der Auslöser dieser unterhaltsamen Nacht war, bekommt den Namen „May-Bock“. In der Presse wird berichtet.

Im Hannoverschen wird Old Shatterhand also angemessen wahrgenommen. In der Prignitz dagegen schlicht ignoriert. Hier waren seine Spuren nur schwer zu rekonstruieren, was hiermit geschehen ist … wenn ich mich nicht irre …


[1] Friedrich Ludwig Jahn (1778 – 1852) wurde in Lanz geboren. Als das Geburtshaus 1854 abbrannte, wurde es zwei Jahre später wieder aufgebaut und ist seither Gedenkstätte.

[2] Karl May, Postkarte an Klara Plöhn, 2.5.1898, zitiert nach: Gerhard Klußmeier | Kerstin Beck, „Sitz im Hotel ich weltverloren …“. Karl Mays Reise 1898 nach Garton, Kapern, Lenzen, Lanz und Schneckenberg, 2012, 22.

[3] Karl May, Postkarte an Wilhelmine Beibler, 2.5.1989, aaO 27.

[4] Karl May, Postkarte an Klara und Richard Plöhn, 4.5.1989, aaO 32.

[5] Carl Junack, Karl May in Gartow, in: Heimatbote. Gemeindeblatt für den Kirchenkreis Gartow, Mai 1935.


 

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