Des Unschuldigen Schuld

Gerty Spies hat Glück gehabt, sie überlebt. Aus München werden etwa 12.000 Juden vertrieben oder ermordet, nur etwa 160 kommen zurück. 

Gerty Spies wird 1897 als Tochter des jüdischen Kaufmanns und Mundartdichters Sigmund Gumprich in Trier geboren. 1920 heiratet sie den Protestanten Alfred Spies und zieht mit ihm nach Freiburg im Breisgau. Aus der Ehe, die 1927 geschieden wird, geht eine Tochter und ein Sohn hervor. 1929 zieht Gerty Spies nach München. 1942 wird sie nach Theresienstadt deportiert.

Dort fasst Gerty Spies den Entschluss, sich der Barbarei durch das Schreiben entgegenzustellen. Gedichte, darunter auch „Des Unschuldigen Schuld“, Tagebucheintragungen und autobiografische Texte entstehen. Sie muss alles auswendig im Kopf behalten. Kann sie einen Fetzen Papier ergattern, schreibt sie kurze Texte auch auf.

1945 kommt Gerty Spies nach München zurück. Eines Tages trifft sie ihre Tochter zufällig auf der Straße. Beide können nicht sprechen, nur weinen.

Gerty Spies hat nicht nur Theresienstadt überlebt, sie geht daraus als Dichterin hervor. 1947 erscheint ihr erster Gedichtband „Theresienstadt“. Sie hat einen prominenten Unterstützer, Hermann Hesse. Nicht alle sehen das so. Ein Kritiker spricht 1947 von einer „billig spekulierenden KZ-Literatur“. 1983, nach einer Fernsehsendung, melden sich anonyme Anrufer mit wüsten Beschimpfungen. Als sie 1986 den Schwabinger Kunstpreis erhält, fallen in der Jury die Worte: „Nur, weil sie in Theresienstadt war, muss sie doch noch lange keinen Literaturpreis bekommen!“

Am 10. Oktober 1997 stirbt Gerty Spies in München.


Gerty Spies
Des Unschuldigen Schuld
Gedicht zum 9. November 2023

Was ist des Unschuldigen Schuld – Wo beginnt sie?
Sie beginnt da,
Wo er gelassen, mit hängenden Armen
Schulterzuckend daneben steht,
Den Mantel zuknöpft, die Zigarette
Anzündet und spricht:
Da kann man nichts machen.
Seht, da beginnt des Unschuldigen Schuld.1


selbst die Texte von Gerty Spies lesen:
Theresienstadt. Gedichte, 1947.
Des Unschuldigen Schuld, 1977.
Drei Jahre Theresienstadt,1984.
Im Staube gefunden. Gedichte, 1987.
Das schwarze Kleid. Eine Erzählung, 1992.
Gedichte aus dem Konzentrationslager und aus den nachfolgenden Jahren, 1993.
Des Unschuldigen Schuld. Eine Auswahl aus dem Werk anlässlich der ersten Verleihung des Gerty-Spies-Literaturpreises der Landeszentrale für politische Bildung Rheinland-Pfalz, 1997.
Bittere Jugend. Ein Roman von Verfolgung und Überleben im Nationalsozialismus, 1997.


1 Gerty Spies, Des Unschuldigen Schuld, 1977, 13.


Bild Landeszentrale für politische Bildung Rheinland-Pfalz


 

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