Die Liebe unter Aliens

Terézia Mora wurde 1971 in Sopron (Ungarn) geboren. Sie wuchs in einer Familie, die zur deutschen Minderheit gehörte, auf. „Meine ersten Narrative waren die der Repression“, sagt sie über ihre Jugend, die vom Katholizismus und Kommunismus geprägt war. Bis heute klingt das in ihrem Schreiben nach. Nach der politischen Wende in Ungarn ging sie 1990 zum Studium nach Berlin, wo sie jetzt als freie Schriftstellerin lebt.

Terézia Mora erzählt von der Verlorenheit der Menschen: Vom Frührentner Hellmut, dem auf der Straße sein Beutel mit Portmonnaie und Schlüsseln entrissen wird. Vom Sanitäter, der seinen Sohn viel zu selten sehen kann. Von der Fotografin Ella, die ihr Kind, das bei den Großeltern lebt, zu sich holen möchte. Vom Rezeptionisten Peter, der seine Halbschwester nur einmal im Jahr heimlich treffen kann. Vom Rechtsanwalt Mario, der nur so tut, als würde er arbeiten und statt dessen sein Haus zur Pension umfunktioniert hat. Von den Künstlern Felka und Felix, die illegal in Deutschland leben; er malt Selbstporträts und sie verdient ein wenig durch Putzen. Von der Stipendiatin Zsófia, die von ihrem Freund verlassen wurde, als sie ihm sagt, er sei ihre Leben. Vom Tierpfleger Erasmus, den seine Frau und seine Arbeit verloren hatte, weil er zu viel trank. Vom emeritierten Professor Masahiko, der durch ein Schaufenster eine Frau sieht und sich in sie verliebt. Und von Tim und Sandy, die ans Meer wollen und sich verlieren:


„Sie hatten für sich zwei ein Einzelbett, das war so hart, wie sie das in ihrem kurzen, abwechslungsreichen Leben noch nicht erlebt hatten.“ [27] Der Raum ist klein und kalt und der Rauch zieht nicht ab, wenn sie kiffen. Er ist zwanzig und heißt Tim, sie ist achtzehn und lässt sich wahrhaftig Sandy nennen. Sie haben sich vor einem halben Jahr in einer Einrichtung kennengelernt, in der sie beide jeweils drei Wochen verbrachten.“ [27] Sandy hat nichts zu tun. Tim macht eine Ausbildung als Koch.

Sie lagen auf ihrer Matratze. Sandy sagte: „Ich kann dich nicht ansehen. Du bist ein Alien. … Scheiße, sagte Tim. Oh, Scheiße! Jetzt kann ich dich auch nicht mehr ansehen. Jetzt bist du auch ‘n Alien!“

Am Morgen verschlafen sie. Ewa, Tims Chefin, muss sie wecken. Tim kann sich ein Leben ohne Sandy nicht vorstellen. Aber ohne Ewa würde er die Ausbildung nicht schaffen.

Als er verschläft, telefoniert sie ihm nach und holt ihn ab. Sandy will mitfahren, aber nicht nicht zur Hochzeit, wo Ewa und Tim kochen, sondern ans Meer. Als Ewa und Tim ihren Job gemacht haben, wartet Sandy schon. Auch ein Quartier hat sie besorgt. Am nächsten Morgen ziehen sie weiter, trampen ein Stück, machen Rast an einer Straße, kiffen.

Tim schläft ein. Als er wieder aufwacht, ist Sandy nicht mehr da. „Sandy tauchte nicht wieder auf. Sie kam nicht von allein wieder, sie schickte keine Nachricht, und sie wurde nicht gefunden, weder tot noch lebendig. Als es Herbst wurde und die Schule wieder anfing, verschwand auch Tim.“ [54]


selbst lesen: Terézia Mora, Die Liebe unter Aliens. Erzählungen, 2016.


 

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