Deutsche Hörer!

1933 war Thomas Mann von einer Reise in die Schweiz nicht mehr nach Deutschland zurückgekehrt, 1938 emigrierte er in die USA. Zwischen 1940 und 1945 hielt er in der BBC insgesamt achtundfünfzig Rundfunkansprachen an die Deutschen. 

Zunächst wurden die Texte nach London geschickt, wo sie verlesen wurden. Später sprach Mann die Texte selbst auf eine Schallplatte, die telefonisch nach London übertragen wurde. So konnten die Menschen nun auch seine eigene Stimme hören.

Die Reden begannen in einer Zeit, als Deutschland scheinbar unaufhaltsam Land um Land eroberte und der Schrecken der Nationalsozialisten sich immer mehr ausbreitete. Dennoch ist Mann von Beginn an überzeugt: Hitler kann diesen Krieg nicht gewinnen.


1938 waren die Deutschen in Österreich einmarschiert, hatten Frankreich und Großbritannien der Abtretung des Sudetenlandes zugestimmt und hatte Hitler Danzig besetzt. 1939 marschieren die Deutschen in Tschechoslowakei ein, nehmen das Memelland ein und beginnen den Krieg mit dem Angriff auf Polen. 1940 werden Norwegen und Dänemark besetzt. Die Wehrmacht marschiert in den Niederlande, Belgien und Luxemburg ein und überfällt Frankreich.

November 1940

„Dieser Kampf wird langwierig sein, niemand täuscht sich darüber. Aber je länger er dauert, desto sicherer ist sein Ausgang. Die verworfenen Abenteurer , die die Versklavung der Welt betreiben, fühlen im Grund, daß sie schon heute verspielt haben.“ [14]

Am Beginn des Jahres 1941 landet das deutsche Afrika-Korps in Tripolis. Die Wehrmacht marschiert in Bulgarien ein. Der US-Kongress verabschiedet den Lend-Lease Act: Die offiziell neutralen USA liefern Waffen, Munition, Fahrzeuge, Treibstoffe, Nahrungsmittel, Flugzeuge und viele andere Hilfsgüter im Wert von knapp 50 Milliarden Dollar an Großbritannien, die UdSSR, China und viele andere Staaten.

März 1941

„Den Widerstand Englands, den Beistand, den Amerika ihm leiht, brandmarken eure Führer als ‚Kriegsverlängerung‘. Sie verlangen ‚Frieden‘. Sie, die vom Blute des eigenen Volkes und anderer Völker triefen, wagen es, dieses Wort in den Mund zu nehmen. Friede – damit meinen sie: Unterwerfung, die Legalisierung ihrer Verbrechen, die Hinnahme des menschlich Unerträglichen. Aber das ist nicht möglich. Mit einem Hitler gibt es keinen Frieden, weil er des Friedens von Grund aus unfähig, und weil dieses Wort in seinem Munde nur eine schmutzige, krankhafte Lüge ist – wie noch jedes Wort es war, das er je gab und sprach. Solange Hitler und sein Brandstifter-Regime bestehen, werdet ihr Deutsche keinen Frieden haben, nie, unter keinen Umständen. Immer wird es weitergehen müssen, wie jetzt, mit den trostlosen Gewalttaten, sei es auch nur, um die Rachegeister zu bannen, sei es nur, damit der riesengroß heranwachsende Haß euch nicht verschlinge.“ [24]

Mai 1941

„Der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika hat gesprochen. … Wessen ich euch in den Botschaften, mit denen ich euer Ohr zu erreichen versuchte, immer wieder versichert habe: nämlich daß der Hitler-Friede, eine Weltordnung der Versklavung und des Zynismus, diese Konzeption eines finsteren und krankhaften Gehirns, nicht hingenommen, nicht angenommen, nicht geduldet werden, daß die Menschheit sich nicht davor beugen wird, das hat diese Rede in den ernstesten und bindendsten Worten bestätigt. Der Präsident hat den Zustand of Unlimited National Emergency erklärt, das heißt er hat die große Demokratie, die er führt, zu kriegerischer Selbstzucht und Einigung gegen den äußeren Feind aufgerufen, der der Feind aller Menschen guten Willens ist, und unwiderruflich hat er kundgegeben, daß ein Friede mit Hitler, ein sogenannter Verhandlungsfriede mit den gegenwärtigen Beherrschern Deutschlands niemals geschlossen werden wird, weil er nichts Anderes wäre als der Sieg des Bösen und Niederträchtigen, der Tod der Freiheit und Menschenwürde.“ [27.28]

Der Krieg weitet sich auf den Balkan nach Jugoslavien und nach Griechenland aus. Der Überfall gegen die Sowjetunion beginnt, Litauen, Lettland, Estland, Weißrussland, die Ukraine werden erobert. Der Vormarsch der deutschen Wehrmacht scheint unaufhaltsam.

Oktober 1941

„Es gibt Dinge, die vermieden werden müssen und die die Menschheit zu vermeiden wissen wird, mögen sie durch noch so viele Siege ihre Unvermeidlichkeit zu beweisen suchen. Hitlers Triumph wird vermieden werden, ich stehe euch dafür ein. Der Stab ist ihm gebrochen – er weiß das nur noch nicht, aber vielleicht ahnt sein mißgeschaffenes Gehirn es zuweilen. Er möge Moskau, möge den Kaukasus erobern, sogenannte vollendete Tatsachen schaffen, so viel er will – diese Tatsachen sind hinfällig, sie werden nicht anerkannt, nicht angenommen werden, und der Krieg wird weitergehen – wie viele Jahre, niemand kann es sagen; aber gewiß ist, daß mit dem Nazi-Regime kein Friede geschlossen werden wird, daß Deutschland keinen Frieden haben wird, solange es Hitler folgt. Mit Deutschland wird Frieden geschlossen werden – mit einem Deutschland, dessen Volk und Regierung bereit sind, sich einer menschenmöglichen, einer menschlich annehmbaren Weltordnung mit gleichen Rechten und gleichen Pflichten für alle einzufügen.“ [43]


nachlesen: Thomas Mann, Deutsche Hörer! Radiosendungen nach Deutschland aus den Jahren 1940 – 1945, 52013.


 

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