Von Mariupol nach Blüthen

Von 1927 bis 1930 hatte Jacob Stach die Pfarrstelle in dem kleinen Prignitzdorf Blüthen inne. Als er nach Blüthen kam, war er 62 Jahre alt.  

Sein Nachfolger Karl Groß schreibt über ihn: „Pfarrer Stach war in Blüthen schon ein alter Herr, der mancherlei vergaß und wohl infolgedessen oft tat, was die Gemeinde nicht erwartete, und umgekehrt nicht tat, was verabredet war. Den Blüthenern sprach er zu viel von Rußland und dem Kommunismus; nach 1945 hat indessen dieser und jener gesagt: Der Pastor hat doch recht gehabt. Als die Gemeinde Groß Berge sich hier nach ihm erkundigte, haben ihn die Blüthener, wie mir erzählt wurde, ‚weggelobt’.“

Karl Groß hat Recht, Rußland und der Kommunismus waren die Themen von Jacob Stach. Genauer könnte man sagen: Er war ein glühender Antikommunist und ein überzeugter Nationalist, der einer vermeintlich jüdisch-bolschewistischen Weltverschwörung mit allen Mitteln entgegentreten wollte. 

Um zu verstehen, woher diese Einstellung kam, muss man ein Stück in die Vergangenheit schauen.

Herkunft

Jacob Stach wird am 23. September 1865 in Grunau, in der Nähe von Mariupol geboren. Der Ort heißt heute Aleksandronevsk und ist ein Ortsteil des 3.000-Einwohner-Orts Rosiwka.

Stach schreibt: „Im Jahr 1817 wanderten rund 500 Familien aus dem damaligen Westpreußen nach Südrußland aus und gründeten etwa 30 – 90 Kilometer nördlich vom Aaowachen Meer 11 evangelische und 6 katholische geschlossene Kolonien.“ 29 Familien aus dem Kreis Elbing gründeten den Ort und nannten ihn genauso wie ihren Herkunftsort: Grunau.

Die Region war zuvor weitgehend unbewohnt. Das heutige Mariupol wurde erst 1779 gegründet. Damals entschlossen sich die rund 15.000 auf der Krim unter islamischer Herrschaft übrig geblieben Christen, meist Griechen, geschlossen an die damals weitgehend unbewohnte Nordküste des Asowschen Meeres umzusiedeln. 

Insgesamt entstehen 20 Dörfer und in ihrer Mitte am Meer ein städtisches Zentrum entstehen. Schon wenige Jahre später begann in Mariupol die Industrialisierung mit einer Ziegelei, der bald zwei weitere folgten. Dazu kamen Gießereien und Hüttenwerke, die die Grundlage für die spätere Entwicklung des „Donbass“ zur Schmiede des Zarenreiches und der Sowjetunion legten.

Da die Griechen von Mariupol nicht den ganze Region in Anspruch nahmen, der ihnen von Katherina der Grossen eingeräumt wurde, kam die Russische Orthodoxe Kirche auf die Idee, Juden in größerer Zahl zu christianisieren und ihnen in der weiteren Nachbarschaft der Stadt einen Siedlungsraum zuzuweisen, genannt „Judensteppe“. Doch ließen sich nur wenige russische Juden bekehren. Noch weniger zogen ans Asowsche Meer.

So kam in Petersburg ein anderer Plan zum Tragen, evangelische Bauern aus Preussen nach Mariupol zu holen. Ihre Niederlassungen wurden nach diesem „Preussenplan“ Planer-Siedlungen genannt. Es waren vor allem Täufer, Mennoniten und Alt-Lutheraner, die sich nicht in die Kirche der preussischen Union eingliedern lassen wollten. Sie alle brachten reges evangelisches Glaubensleben zur griechisch-orthodoxen Präsenz.

Zu diesen Kolonisten gehörten auch die Vorfahren von Jacob Stach, der über seine Kindheit und Jugend schreibt: „Ich wuchs in solidem bäuerlichen Wohlstand auf, nachdem ich am 24. September 1865 das Licht der Welt erblickt hatte. In meinem siebenten Lebensjahr hatte mein Großvater, der meinem Vater als seinem jüngsten Sohn bereits die Wirtschaft übergeben hatte, mir nicht bloß die Kunst des Lesens beigebracht, sondern auch ein großes Interesse für Herkunft und Abstammung in meine junge Seele gelegt.

Frühreif trat ich in die gut eingerichtete Dorfschule ein und hatte im 14. Lebensjahr die höchste Bildungsstufe, die mir meine Heimatkolonie ermöglichen konnte, erreicht; ich hatte mit dem besten Erfolg als Erster die dortige neugegründete Fortbildungsschule, die sogenannte ‚Grunauer Zentralschule‘, beendet und beherrschte neben der deutsche! Muttersprache auch ziemlich gut die russische Landessprache. Im gleichen Jahr (1879) wurde ich mit einigen hundert Altersgenossen nach einem sechswöchentlichen speziellen Unterricht seitens des Küsters vom Pastor konfirmiert.“

Der Pfarrer bringt ihm auch noch Latein und Griechisch bei, so dass er mit dieser Vorbildung von 1882 bis 1888 das Baseler Missionsinstitut besuchen konnte

Die Evangelische Missionsgesellschaft Basel wurde 1815 gegründet. Die Ausgebildeten wurden nach Westafrika, Südindien, China und Indonesien geschickt, aber auch in den Kaukasus zu den Armeniern. Die Baseler Missionare lernten neben ihrer theologischen Ausbildung ein Handwerk.

Erste Pfarrstellen

Als 23-jähriger kehrt Stach nach Russland zurück. Er wird Hilfsprediger in Annenfeld im Kaukasus. 

Hier heiratet er Alide Marie Nilsson, der Tochter eines Uhrmachers in Permau, einer Stadt im damaligen Estland. Sie ist zwei Jahre jünger als er. Mit ihr hat er insgesamt sieben Kinder. 

1890 verlässt Stach Annenfeld. Seine Tochter weiß später noch von einem Studium in Dorpat (Lettland) zu berichten. Er selbst schreibt nur: 

„Um eine Pfarre zu erhalten, mußte ich mich einem theologischen Examen im St. Petersburgischen Konsistorium unterwerfen. Darauf wirkte ich sieben Jahre lang in der deutschen Kolonie Hochheim in der Krim und lernte das originelle Leben der dortigen Kolonisten kennen, die zu den tüchtigsten und wohlhabensten in ganz Rußland gehörten.“

1887 wechselt er in die Kolonie Freudental bei Odessa, 1907 nach Eugenfeld bei Melitopol.

Hier gründet Stach 1907 den Eugenfelder Schulverein. Im gleichen Jahr wird der Grundstein für eine Ackerbauschule gelegt. Im Herbst wird die Schule mit etwa 80 Schülern eröffnet. Zwei Jahre später wird noch eine Haushaltschule für Mädchen, eröffnet.

Jakob Stach inmitten der Lehrer und Schüler der Ackerbauschule Eugenfeld

Nationalismus

Dann kommt der Erste Weltkrieg und schließlich die Revolution 1917. 

In der Zeit des Krieges verschärft sich die Stimmung gegen Deutsche. Viele werden nach Osten deportiert und verlieren Grund und Boden. Die Schulen werden geschlossen.

Stach kann offensichtlich auch nicht mehr sein Pfarramt ausüben. Er reist durch etwa 1.500 deutsche Kolonien und Güter zuletzt unter Verfolgung seitens der Polizei von Odessa aus bis in den Kaukasus, und sammelt Material als Beleg für die großen Leistungen der Deutschen im russischen Reich, woraus mehrer Bücher entstehen.

Das erste davon kann aber nicht mehr in Russland erscheinen. Stach schreibt: „Mein Buch erschien 1916, und die Folge war, daß es sofort nach seinem Erscheinen vernichtet wurde und ich selbst, um einem schlimmeren Geschick zu entgehen, freiwillig als Pastor nach Sibirien übersiedelte.“

Er geht nach Slawgorod und kümmert sich um rund 5.000 Kolonisten an 66 Predigtorten. Auch eine Schule wird noch einmal gegründet, dann kommt die Revolution auch nach Sibirien.

Stach schreibt: „Als der Bolschewismus in Sibirien endgültig eingerückt war, blieb ich mit meiner Familie obdachlos auf der Straße liegen. Alle meine Slawgoroder Mitarbeiter waren geflohen oder getötet.“

Flucht nach Deutschland

Was zwischen 1922 und 1927 geschah, schildert seine Tochter Martha Gosling so:

„1921 ist bekannt als das Jahr der ersten großen Hungersnot im kommunistischen Rußland. Schnelle Hilfe für die hungernde Bevölkerung war notwendig. Die Deutschen erhofften sich Hilfe von Landsleuten, die in früheren Jahren nach Amerika oder anderen Ländern ausgewandert waren.“

Stach wird gebeten, nach Amerika zu reisen. Dazu kommt es aber nicht, denn er bricht sich bei Glatteis einen Knöchel und muss ins Krankenhaus. Der Knöchel heilt, aber die schlechte Ernährung macht ihn in dieser Zeit sehr krank. Auch seine Frau kann kaum zusätzliche Nahrung beschaffen. Schließlich ist Stach und seine Frau bis auf die Knochen abgemagert.

Ihrem elenden Aussehen haben sie es schließlich zu verdanken, dass sie im Winter 1921/22 nach Deutschland ausreisen dürfen. „‚Für euch ist eine Kugel zu schade. Ihr verreckt doch!‘ sagt ein Posten bei der Ausreise spöttisch.“

Stach hat das nackte Leben gerettet und kommt mit seiner Frau, aber ohne die Kinder Ende März 1922 in Deutschland an. Stach wird dann zunächst im Basler Missionshaus als „müder und kranker Heimkehrer“ wieder aufgenommen, bevor er dann nach Deutschland zurückkehrt und sich dort der Hilfstätigkeit für seine Landsleute widmet.

Die Hilfstätigkeit wird ihm schwer gemacht, weil man ihm nicht glaubt, dass es in Russland Deutsche gäbe. Auch wird ihm zunächst nicht geglaubt, dass er Pastor ist. Die Tochter schreibt: „In dieser kritischen Phase setzte sich meine Mutter besonders energisch für ihn ein. Es gelang ihr, andere Pastoren davon zu überzeugen, daß es in Rußland sehr wohl eine evangelische Kirche gab und daß in Dorpat junge Pastoren ausgebildet worden waren. Unter den dort registrierten Namen fand man auch den Namen Jakob Stach.“

Blüthen

Im Juli 1927 richtet das Konsistorium an den Oberkirchenrat die Bitte, die Pfarrstelle in Blüthen wieder zu besetzen: „Durch die Versetzung des Pfarrers Böhme nach Salzwedel ist die Pfarrstelle zum 1. Januar 1927 frei geworden. Der Pfarrsprengel umfasst die 3 Kirchengemeinden Blüthen, Stavenow-Dargardt und Groß Linde mit zusammen 932 Seelen. Das Dorf Blüthen ist Pfarrsitz und zählt 403 Seelen.“

Schon damals ist umstritten, ob die Stelle überhaupt wieder besetzt werden soll. Der Besetzung der Pfarrstelle gingen längere Bemühungen der Gemeinde voraus, die Stelle wieder besetzen zu dürfen. 

Dabei wird betont, dass die Aufgaben in Blüthen können kaum von anderen Pfarrern übernommen werden können, weil deren Pfarrsitze zu weit entfernt sind und diese „durch die Pastorisierung der eigenen Gemeinden ganz in Anspruch genommen“ sind. „Arbeit, die zur Wiedererweckung und Neubelebung des kirchlich-sittlichen Lebens der Gemeinden wesentlich beiträgt, ist nur dann möglich, wenn die Pfarrstelle zu Blüthen erhalten bleibt. Wenn durch die Nichtwiederbesetzung der Stelle eine zielbewusste und energische Persönlichkeit als Führer fehlte, würden ausserkirchliche Gemeinschaften versuchen, die zur Zeit treu zur Kirche stehenden Gemeinden zu sprengen.

Die Pfarrstelle Blüthen wird seit dem 1. Januar des Jahres von dem Pastor Stach als Hilfsprediger verwaltet. Dieser war 32 Jahre in der Diaspora in Russland und zuletzt im Dienst der Dr. Lepsius‘schen Orientmission tätig und hat auf Grund eines Kolloquiums durch Erlass des Evangelischen Oberkirchenrats vom 2. September 1926 die Anstellungsfähigkeit im geistlichen Amt der Evangelischen Kirche der altpreussischen Union erhalten. Er hat den verständlichen Wunsch, möglichst bald – er ist 62 Jahre als – als Pfarrer angestellt zu werden. In der Zeit seines Wirkens in Blüthen hat er sich das Vertrauen der Gemeinden und des Patronats in so hohem Masse erworben, dass er bereits von dem Patron von Bonin auf einstimmigen Wunsch der kirchlichen Körperschaften von Blüthen für diese Pfarrstelle präsentiert worden ist.“

Am 19. September 1927, dem 19. Sonntag nach Trinitatis, um 10.00 Uhr wird Stach in Blüthen in sein Amt eingeführt. Er predigt über das Sonntagsevangelium Matthäus 9,1-8, die Heilung des Gelähmten. 

Ob er wirklich das Vertrauen der Blüthener in hohem Maße erworben hatte oder ob die Zustimmung zu der Besetzung der Stelle durch Stach eher von der Sorge geprägt ist, dass dann die Stelle vielleicht wegfällt, ist nicht zu erkennen. Von Konflikten in Blüthen ist nichts bekannt. Überliefert ist aber, dass es in anderen Dörfern Probleme gab. 

So legt sich Stach einmal mit dem Lehrer in in Dargardt an, weil dieser nicht bei einer Beerdigung spielen wollte. Er war der Meinung, es gehöre nicht zu seinen Aufgaben. Bei der Traueransprache zieht Stach deswegen über den Lehrer her und sagt: „Wenn die Gemeinde tanzt und spielt, ist der Lehrer dabei und wenn sie weint und trauert, dann fehlt er. Ein neuer Geist ist mit dem neuen Lehrer hier in Dargardt eingezogen. Der Leichengesang ist daher mit dem heutigen Tage auch zu Grabe getragen worden. Ein neues Licht sei im Osten aufgegangen, dessen Strahlen auch bis Dargardt reichen. Kommunisten haben keine Religion.“

Die Gemeindevertreter und der Lehrer beschweren sich daraufhin bei der preußischen Regierung. Die Regierung, das Konsistorium und der Superintendent werden mit der Sache befasst. Stach muss sich entschuldigen und schreibt: „Ich erkläre hiermit, dass ich den Ausfall in meiner Leichenrede mit allem, was drum und dran hing, restlos zurücknehme und aufs tiefste bedauere.“

Auch mit dem Lehrer in Gulow gibt es ein Problem. Als der sein Kind in Blüthen taufen lassen will, lehnt Stach das ab. Die Genehmigung des Gulower Pfarrers Höhne und des Superintendenten liegt zwar vor, aber Stach ist der Meinung Lehrer Koell hätte behauptet, dass Höhne die Taufe abgelehnt hätte. Nachdem er erfahren hatte, dass das nicht zutrifft, verweigerte er die Taufe. Dem Superintendeten schreibt er:

„Herr Lehrer Koell in Gulow teilte mir mit, dass er von Euer Hochwürden beauftragt sei, mich aufzufordern, an seinem Kinde die heilige Taufe zu vollziehen. Durch die indessen eingetretenen Umstände war ich gezwungen, ihm folgendes mitzuteilen:

‚Leider kann ich an Ihrem Kindchen die heil. Taufe nicht vollziehen, trotzdem mich auch Herr Pfarrer Höhne persönlich dringend darum gebeten hat. Der Grund ist, daß Sie, Herr Lehrer Koell, mir die Annahme beigebracht und dauernd darin bestärkt haben, als hätten Sie Herr[n] Pfarrer Höhne um die Taufe Ihres Kindes gebeten und er hätte Ihnen diese Bitte abgeschlagen.

Nachdem ich das gestern endlich erfahren und darüber eine schlaflose Nacht zugebracht habe, schätze ich mich glücklich, von einem Schritt bewahrt worden zu sein, den ich mir hätte nie verzeihen können.‘

Ich halte mein Amt für zu schade, als daß ich mich als Träger desselben bewußt zum Opfer eines Betrugs machen ließe.“

Möglicherweise haben solche Konflikte auch dazu geführt, dass die Blüthener schließlich Stach wieder loswerden wollen, so dass Karl Groß später schreiben kann: „Als die Gemeinde Groß Berge sich hier nach ihm erkundigte, haben ihn die Blüthener, wie mir erzählt wurde, ‚weggelobt’.“

Auf jeden Fall endet das Wirken von Stach in Blüthen 1930. Am 30. Januar überträgt das Konsistorium Stach „die geistliche Versorgung der evangelisch-deutschrussischen Flüchtlinge in Prenzlau“. Die Stelle in Blüthen soll der Pfarramtskandidat Georg Gartenschläger übernehmen. Der meldet sich aber krank, weil ihn das Examen gesundheitlich so stark mitgenommen hat, dass er sich erst einmal für acht bis 10 Wochen krank meldet.

Also soll noch einmal Stach herangezogen werden. Der schreibt am 19. Februar berichtsmäßig an den Superintendenten, dass ihn die die täglichen Pflichten in Prenzlau sehr in Anspruch nehmen und er täglich 14 Stunden arbeite. An einzelnen Beispielen macht Stach die Not der Russlanddeutschen deutlich, um die Bedeutung seiner Aufgabe in Prenzlau zu betonen, denn eigentlich hat er noch die Pfarrstelle in Blüthen inne. Die Konfirmation an Palmarum will er denn auch abhalten.

Schon einen Monat später wird Stach vom Konsistorium wieder aus Prenzlau abberufen, weil sich keine Vertretung für Blüthen gefunden hat. Zum 1. März soll er wieder in Blüthen Dienst tun. Noch ein paar Monate ist er in Blüthen, dann wird er nach Berge versetzt und die Stelle Blüthen ist vakant.

Bei seiner Abschiedspredigt wählt er einen Text aus Römer 10, in dem es heißt: „Wie soll sie aber an den glauben, von dem sie nicht gehört haben? Wie sollen sie aber hören ohne Prediger? Wie sollen sie aber predigen, wenn sie nicht gesandt werden?“

Die Satz nimmt Stach in einer Klage über den Zuschnitt der Parochie auf. Das Kirchspiel mit den Orten Blüthen, Klockow, Waterloss, Stavenow, Dargardt und Groß Linde ist zu groß, um dem Pfarrer ein gedeihliches Wirken zu ermöglichen. Die „äußere und innere Entfernung der Muttergemeinde von den Filialen, erst aber der Filialen untereinander, wird bedrückend auf die Seele des Pfarrers, vermindert die Freudigkeit seines Wirkens, hemmt die Schritte und mach oft verzagt und flügellahm.“

Stachs Seele ist aber mit dem Abschied von Blüthen nun von dieser Last befreit und freudig richtet er seine Schritte nach Berge.

Die Veränderung der Pfarrsitze und des Zuschnitts der Parochien war in den 1920er und 30er Jahren immer wieder Thema. Auch Stach beteiligte sich an dem Diskurs, in dem die Blüthener immer wieder forderten, dass der Pfarrsitz und die Parochie Blüthen erhalten bleiben müssen. Zugleich wird auf die großen Entfernungen nach Dargardt und Groß Linde hingewiesen, viel Zeit und Kosten in Anspruch nimmt. Insbesondere Groß Linde soll aus der Parochie entnommen werden, was 1934 auch geschieht. Ab 1. April 1934 wird der Parochie Blüthen die Gemeinde Strehlen – nicht auf Dauer sondern nur als einstweilige Maßnahme –  zugeordnet und Groß Linde geht nach Gulow.

Berge

Aber da ist Stach schon vier Jahre in seiner neuen Pfarrstelle und erneut gibt es Anlässe, die seine Seele bedrücken. Denn inzwischen hatte er sich zum glühenden Anhänger der NSDAP entwickelt und war fanatisches Mitglieder der Deutschen Christen geworden. Aus seiner Position macht er in der Gemeindebriefen keinen Hehl.

Im Gemeindeteil des überregionalen Gemeindeblatts erläutert Stach, was für ihn „Reaktion“ ist:

„Die nationalsozialistische Bewegung sieht sich veranlaßt, eine Aufklärungspropaganda über die Reaktion in ganz Deutschland durchzuführen, weil gewisse Elemente sich nicht in die Staatsordnung des vom Nationalsozialismus geschaffenen Dritten Reiches hineinführen wollen. Unsere Westprignitz gilt bekanntermaßen als der schwärzeste Kreis der Reaktion in ganz Deutschland.“

Um diesen Satz zu verstehen, muss man sich vergegenwärtigen, dass sich der Nationalsozialismus selbst als fortschrittliche, junge Bewegung ansah und die anderen politischen Anschauungen entweder als jüdisch-bolschewistisch oder eben als reaktionär-schwarz bezeichnete.

Beispielhaft führt Stach nun die reaktionären Erscheinungen, vor allem innerhalb der Kirche, auf: Wenn die Gemeinde nach einer nationalsozialistischen Predigt sagt: Das hören wir uns nicht mehr an, wir kommen nicht mehr zur Kirche. Oder wenn Nationalsozialisten nicht in die Kirche kommen, obwohl dort nationalsozialistisch gepredigt wird. Überhaupt gilt: Wer nicht nationalsozialistisch predigt, gehört nicht auf die Kanzel.

Offensichtlich ist es in Berge aber so, wie Stach beschreibt. Die Gemeinde hatte von seinen Nazi-Predigten genug und steht überhaupt den Nazis mehr als skeptisch gegenüber, indem sie beispielsweise bei bekannten Nazis nicht mehr einkauft. 

Was heißt für Stach nun nationalsozialistisch? National ist das ist das Gegenteil von international und jüdisch. Besonders greift Stach Pfarrer an, die sich für die Juden einsetzen. Die Juden stehen in der Nachfolge derer, die Jesus gekreuzigt haben und heute das öffentliche Leben bestimmen. „Ist es da nicht unsere heilige Pflicht, uns dieser Juden mit aller Macht zu erwehren?“

Zum andern ist Nationalsozialismus sozial, was für ihn heißt: „Ich dien. Daß ich lebe, ist nicht wichtig, wichtig ist, daß Deutschland lebt.“ Sozial sein, heißt sich opfern, wenn es sein muss, wie Jesus, das Leben opfern.

Die Reaktion ist nach Stach weder zu Opfern bereit noch dazu, die Feinde zu bekämpfen. Die Feinde, das sind die Juden, die Bolschewisten und die Franzosen und alle, die nicht deutsch sind. Aber die Nazis und die Deutschen Christen werden dieser Reaktion den Hals brechen.

Es war keine freundliche Kost, die Stach seiner Gemeinde zu lesen gibt. In anderen Artikeln behauptet er, dass ein evangelischer Christ eigentlich nur Nationalsozialist und Deutscher Christ sein kann, auch wenn ausgerecht Adolf Hitler katholisch ist. Aber es ist deutlich, „daß der Nationalsozialismus dem evangelischen Christentum nicht bloß viel näher steht als dem katholischen, sondern daß der Nationalsozialismus seinem Wesen nach eigentlich nichts anderes ist als praktisches Christentum, wie es uns die Evangelien an der Person unseres Heilandes Jesu Christi schildern.“

Besonders wettert Stach gegen die Bekennende Kirche, insbesondere die Pfarrer, die es den Deutschen Christen schwer machen. Aber die Gemeinde wehrt sich gegen ihren Nazi-Pfarrer. Im August 1934 beschwert sich der Amtsvorsteher über Stach beim Landrat, es herrsche „allgemeine Unruhe und Unzufriedenheit“ über seine Amtstätigkeit.

„In fast jeder Predigt, ob aus Nervösität oder anderen Gründen herrührend, fällt er über die Kirchenbesucher her so dass der Kirchenbesuch sehr nachgelassen hat. Die Gemeindegliedeer sagen ganz offen: Wir gehen nicht mehr zur Kirche um uns nicht jeden Sonntag die grössten Angriffe auszusetzen. Kirchenbesuche[r], die sich darüber geäußert haben, bekamen von der Kanzel zuhören: Wenn ich nochmal höre das über meiner Predigt gesprochen und kritisiert wird werde ich Massnahmen ergreifen und euch die Mäuler stopfen“.

Stach soll Mitglieder des Gemeindekirchenrats und Gemeindeverordnete in die Deutschen Christen aufgenommen haben, die Beiträge aber aus der Kirchensteuer bezahlt haben.

Außerdem ist er manchmal nicht mehr geistig auf der Höhe. Einmal hätte er einen Knaben als Mädchen getauft und als er darauf aufmerksam gemacht wurde, sagte er: „Dann machen wir es noch einmal.“ Bei einer Trauung segnete er das Paar mit den Worten: „Der Herr segne Euch und Euer Kind, denn eins habt Ihr ja schon“, obwohl das Paar gar kein Kind hatte. Es gab Protest und eine große Auseinandersetzung, die Familie kommt seither nicht mehr in die Kirche.

Besondere Probleme hat Stach mit dem Stahlhelm, dem Bund der Frontsoldaten. Der Stahlhelm wurde 1933 formal gleichgeschaltet, besaß aber als NS-Frontkämpferbund eine gewisse Autonomie. Viele Pfarrer gehörten dem Stahlhelm an und waren zugleich Mitglieder der Bekennenden Kirche.

Die Stahlhelmgruppe in Pirow, die zum Pfarrsprengel Stachs gehörte, lehnt Stach offen ab. Am Totensonntag 1934 lassen sie an Stachs Stelle den Prädikanten Weber bei der Kranzniederlegung am Denkmal in Neuhausen eine Rede halten. Für Stach ist das eine Provokation, über die er sich beim Superintendenten und Konsistorium beschwert.

Die Beschwerde wird zwar zurückgewiesen. Aber Stach gibt nicht nach. Er bezeichnet Weber als „berüchtigten Hetzer gegen den Herrn Reichsbischof Ludwig Müller. Es ist ja kein Geheimnis, daß Kandidat Weber 70 Unterschriften in Neuhausen zusammenhauender hat um die illegale Kirchenregierung zu stützen“. Weber polemisiere auf der Kanzel. Die Gemeinde sei über den ‚leidigen Pastorenstreit’ empört.

Danach gibt es keine weiteren Nachrichten über sein pfarramtliches Tun. Bald wird er krank. Im September 1935 wird Stach am Darm operiert. Danach ist er wohl nicht mehr richtig gesund geworden. Zum 30. September 1936 wird er emeritiert.

Ruhestand

Zum 1. April 1937 kann die Stelle in Berge neu besetzt werden. Pastor Otto Hartmann tritt sein Amt an. In Blüthen residiert da schon seit 1930 Karl Groß.

Stach geht erst nach Berlin und später nach Katzenelnbogen im Taunus bei Frankfurt am Main. Er betätigt sich weiter als Historiker über die deutschen Kolonien in Russland und freut sich daran, dass er einstige Schüler und Mitarbeiter aus seinen ehemaligen Gemeinden in Russland wiedertrifft.

„Diese jungen Menschen, die alle noch im besten Mannes- oder Frauenalter stehen, haben ihre in Rußland begonnene Ausbildung zum größten Teil als ‚Werkstudenten‘ zu hoher Vollendung gebracht. Sie stellen ihren Mann und liefern den Beweis dafür, daß die Arbeit ihrer weitblickenden Väter mit Erfolg gekrönt worden wäre, wenn nicht die Furie des Weltkrieges und der Judenterror der Revolution das weite herrliche Land dar Russen in eine Wüste verwandelt und das dortige Deutschtum bis auf klägliche Reste vernichtet hätte. Nun geht unser leidenschaftliches Streben dahin, dem Reiche Adolf Hitlers mit allen Kräften zu dienen und unseren Todfeind, den Bolschewismus, bis zum herrlichen Siege kompromißlos zu bekämpfen.“

Am 23. November 1944 stirbt Jakob Stach.


Auf Anmerkungen wurde in diesem Text verzichtet, sie können jedoch gerne erfragt werden.


 

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