Die Geschichte vom Rotkäppchen scheint bekannt: Ein kleines Mädchen wird von seiner Mutter zur kranken Großmutter geschickt. Dazu muss sie durch einen Wald gehen. Auf dem Weg trifft sie den Wolf und naiv, wie sie ist, plaudert sie mit ihm. Der Wolf stiftet sie an, Blumen zu pflücken. So hat er Zeit, zuerst bei der Großmutter zu sein. Kaum hat er deren Haus betreten, verschluckt er sie und legt sich an ihrer Stelle ins Bett. Als schließlich Rotkäppchen eintrifft, kann sie sich noch kurz über das Aussehen der Großmutter wundern und wird dann ebenso verschluckt. Zum Glück kommt der Jäger vorbei. Er sieht den Wolf schlafend im Bett, schneidet ihm den Bauch auf und rettet so Rotkäppchen und seine Großmutter. Der Wolf aber bekommt an ihrer Stelle Steine in den Bauch, so dass er bald darauf totfällt.
Weniger bekannt ist, dass die Geschichte schon uralt sein könnte und im Laufe der Zeit immer wieder umgeschrieben wurde. Auch Jacob Grimm und Wilhelm Grimm1, die die vertraute Fassung aufgeschrieben haben, fügen noch ein weiteres Kapitel hinzu: Rotkäppchen ist wieder unterwegs und trifft wieder einen Wolf. Jetzt ist sie nicht mehr naiv sondern heckt mit der Großmutter eine Falle für den Wolf aus, so dass der schließlich in einem Wassertrog ertrinkt.2
Eine neue Version präsentiert in diesem Jahr das Projekt „Dorf macht Oper“ des Vereins „Festland“ in Klein Leppin.3 Er führt die kaum bekannte Märchenoper des russischen Komponisten César Antonowisch Cui (1835 – 1918) auf. Musikalisch ist das Projekt einzigartig, denn aus der nur für Solisten, Chor und Klavier überlieferten Fassung von Cui hat Werner Tast eine komplett für ein kleines Orchester instrumentierte Oper geschaffen.
Auch die Story wurde aktualisiert: Dass der Wolf, der seit 1850 in Brandenburg als ausgerottet galt, nun wieder mit gegenwärtig 128 Wolfsfamilien (Rudeln) und 35 kinderlosen Paaren in Brandenburg lebt, sorgt für Streit. Soll er erschossen werden – „entnommen“, wie es euphemistisch heißt – oder soll er streng geschützt bleiben? Soll die Natur dem Menschen angepasst werden oder soll sich der Mensch der Natur anpassen? So wird die Geschichte um einen Abschnitt ergänzt, in dem der Wolf Gelegenheit bekommt, sein Tun zu rechtfertigen. Schließlich soll Rotkäppchen über den weiteren Umgang mit dem Wolf entscheiden … und sie lässt ihn leben.
Jedes Jahr gibt es in Klein Leppin ein neues Opernprojekt. Es lohnt sich, sich rechtzeitig um Karten zu bemühen.
1⇧ Jacob Grimm | Wilhelm Grimm, Kinder- und Hausmärchen, 1812. 1815.
2⇧ www.grimmstories.com/de/grimm_maerchen/rotkaeppchen [21.8.2021].
3⇧ www.festlandprignitz.wordpress.com [21.8.2021].
Bild Arthur Rackham (1867 – 1939)